Unsere Wurzeln –
75 Jahre Nachbarschaft in Stuttgart-Rot

Das sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Wohnquartier entsteht auf einem geschichtsträchtigen Grundstück, auf dem in der Nachkriegszeit die ersten Wohnungen des Neuen Heims entstanden. Das 1942 für ausländische Zwangsarbeiter auf dem Freizeitgelände der Schlotwiese in Stuttgart-Zuffenhausen errichtete Lager stand bei Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 leer, sodass die amerikanische Besatzungsmacht in die abbruchreifen Baracken deutsche Vertriebene aus Jugoslawien einweisen konnte. Die bis zu 1.200 Donauschwaben entwickelten als misstrauisch beäugte Fremde notgedrungen eine Lagergemeinde. Neben Handwerksbetrieben entstand in dem Barackenlager u. a. ein Kirchraum mit Glockenturm. Die politische Großwetterlage des Kalten Krieges verhinderte die Rückkehr der Lagerbewohner*innen in ihre Heimat. Deshalb entschloss man sich zum Neuanfang in Stuttgart. Am 17. November 1948, bald nach der Währungsreform, gründeten 79 Bewohner im Versammlungssaal des Lagers eine Genossenschaft: „Neues Heim Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft e.G.m.b.H.“ Ziel war es, das „Bretterbarackendasein“ hinter sich zu lassen und „in gemeinsamer Arbeit und unter gemeinsamen Opfern menschenwürdige Wohnungen zu erstellen.“
Das schlimmste waren die Wanzen. Die Baracken standen ja einige Zeit leer, und die haben sich dann zwischen den Wänden im Holz eingenistet.
Eva Pettow, Bewohnerin der ersten Stunde
Die Initiative und der ausgeprägte Selbsthilfegedanke reichten nicht aus – es fehlte der Baugrund und auch das Eigenkapital war äußerst knapp bemessen. Erst finanziell unterstützt durch die Landeskreditanstalt und die Stadt Stuttgart, konnte im April 1949 das erste Bauvorhaben gestartet werden. Das städtische Bauförderungsamt sprach skeptisch von einem risikobehafteten „ersten Versuch, die Flüchtlinge selbst bauen zu lassen.“ Angesichts des in Stuttgart zu einem Drittel zerstörten Wohnungsbestandes sollte gemäß dem Generalbebauungsplan der Stadt ausgehend vom Rotweg in östliche Richtung eine neue Wohnstadt entstehen. Hier wurde der Baugenossenschaft Neues Heim Baugelände zugewiesen. In Eigenleistung erfolgte der Erdaushub für den ersten Block. Der vom Architekten Eugen Zinsmeister entworfene Bau schritt schnell voran. Bereits am 29. Juli lud die Genossenschaft zu einem „bescheidenen Richtfest“ ein. Und schon am 3. Dezember 1949 erfolgte die Einweihung des ersten Wohnblocks – dreigeschossig und mit bescheiden ausgestatteten Wohnungen. Bereits nach vier Jahren erfolgte das Richtfest für die 500. Wohnung. Nach und nach zogen die meisten der Lagerbewohner von der Schlotwiese nach Rot. Die Genossenschaft schuf Geflüchteten, Vertriebenen und anderen Wohnungssuchenden ein neues Heim und damit die Grundlage für eine neue Heimat. Mit dem ersten Wohnblock legte die Baugenossenschaft zugleich den Grundstein für die neue Siedlung Stuttgart-Rot.
Ausstellung mitten im Quartier
Konzipiert und umgesetzt durch Studierende des internationalen Masterstudiengangs International Master of Interior-Architectural Design der Hochschule für Technik Stuttgart, wurden zwischen Juni 2021 und Oktober 2023 die damaligen Zeilenbauten zu einem Ausstellungsgelände. Unter dem Titel „ROTgeschichtenSEHEN“ beschäftigte sich die Ausstellung mit den Geschichten des Quartiers und der Bewohnerschaft.
Gezeigt wurden die kleinen, großen und vor allem persönlichen Momente des Alltagslebens in Rot. Zentral war dabei auch die Frage, was von der Geschichte des Quartiers und seiner Bewohner*innen nach dessen Abriss bleibt und wie die gebauten Lebensrealitäten in das neue Quartier überführt werden können.
Die interaktive, kostenfrei zugänglichen Elemente waren verteilt über das gesamte Gelände: im Friseursalon am Rotweg, in Wohnungen in den Gebäuden der Fleiner Straße, auf Treppenstufen, Fassaden und Freiflächen zwischen den Zeilenbauten. Der Ausstellungsrundgang endete für die Besucher*innen mit der Möglichkeit, die an jeder Station ausgefüllte Stempelkarte mit Wünschen, Gedanken und Erinnerungen zu versehen und einzuwerfen. Die gesammelten Karten wurden bei der Grundsteinlegung des Neubauquartiers am 23. Mai 2025 von Vorstandsvorsitzenden des Neuen Heims Rüdiger Maier in die Zeitkapsel gegeben.
Die Ausstellung wurde im Rahmen des Projekts „Reallabor Wohnen – resilient und generationengerecht für Alle in Stuttgart-Rot“ realisiert.



